WARUM SOLL ICH FÜR DIE UMWELT KÄMPFEN, PAUL WATSON?
Der Kanadier Paul Watson, 51, war einer der Gründer von Greenpeace, verließ die Organisation aber und gründete 1977 die "Sea Shepherd Conservation Society" (www.seashepherd.org). Watson hat sich dem Schutz der Ozeane und vor allem der Wale verschrieben. Unter anderem rammt er Boote illegal fischender Fangflotten. Dabei beruft er sich auf die UN-Charta zum Schutz der Natur von 1982, die jedermann dazu auffordert, die Umwelt zu verteidigen. Bei den Aktionen Watsons, der schon von der norwegischen Marine beschossen wurde, ist noch nie ein Mensch verletzt worden.
Warum ist es wichtig, Wale zu retten?
Wenn man die Wale nicht rettet, wird man die Ozeane nicht retten können. Wenn man die Ozeane nicht retten kann, wird man auch nicht in der Lage sein, die Menschheit zu retten.
Umweltschutz ist also nichts anderes als der Schutz von Menschen?
Es gibt drei grundlegende ökologische Gesetze: das Gesetz der Vielfalt - dass die Kraft eines Systems in seiner Vielfalt liegt. Das Gesetz der Interdependenz - dass alle Arten miteinander verbunden sind. Und das Gesetz, dass es für jedes Wachstum Grenzen gibt. Jede Rasse, die nicht im Einklang mit diesen drei Gesetzen lebt, wird zu Grunde gehen. Das gilt auch für den Menschen. Umweltschützer sind also um das Überleben des menschlichen Lebens genauso bemüht wie um das Überleben jeder anderen Lebensform.
Manche Menschen nennen Sie einen Terroristen, für andere sind Sie ein Held, die Japaner nennen sie "Samurai der See". Was stimmt denn nun?
Dass es all diese Namen gibt, zeigt, dass ich das bin, was ich sein möchte: ein effektiver Umweltschützer. Man muss für Aufsehen sorgen, um die Leute dazu zu bringen nachzudenken. Übrigens: Wenn das Attentat vom 11. September zu irgendwas geführt hat, dann dazu, dass zumindest die Amerikaner wissen, was ein Terrorist wirklich ist. Und die werden mich sicher nicht einen "Terroristen" nennen, wenn ich das nächste Mal die Netze eines Tunfischfängers zerstöre. Man nennt uns auch "Piraten". Damit habe ich kein Problem.
Lohnt es sich, sein Leben für den Umweltschutz zu riskieren?
Fragen wir einen Soldaten, wie er sein Leben für eine Ölquelle riskieren kann? Es ist viel ehrenwerter, für eine gefährdete Art zu kämpfen, die es seit hunderten Millionen von Jahren gibt. Es ist viel nobler, für einen Elefanten oder einen Wal zu kämpfen, als für das abstrakte Konzept des Patriotismus. Es gibt kein größeres Vermächtnis, das man zurücklassen könnte, als das, dass eine ganze Art vor dem Aussterben gerettet werden konnte, weil du gelebt und gehandelt hast. Es ist eben alles eine Frage der Werte.
Welcher Werte?
In unserer Gesellschaft wird uns beigebracht, nur menschliche Dinge zu schätzen. Man muss sich vorstellen, jemand geht nach Mekka, geht zur Kaaba und spuckt auf sie. Die Chancen, Mekka lebend zu verlassen, sind null. Aber niemand würde viel Mitleid haben - weil das Blasphemie war, weil etwas Heiliges angegriffen wurde. Oder geh nach Jerusalem mit einer Spitzhacke und fang an, die Klagemauer zu bearbeiten. Du wirst erschossen werden. Oder geh nach Rom und versuch, eine der heiligen Statuen im Petersdom mit einem Hammer zu zerkleinern. Und dann schau mal, wie viel Ärger du dir damit einhandelst. Und doch gehen wir jeden Tag in die schönsten Kathedralen der Welt, zu den interessantesten, mysteriösesten, heiligsten Plätzen - zum Beispiel in die Regenwälder des Amazonas -, und wir gehen mit einer Kettensäge dorthin und zerstören sie. Hätten diese Bäume für uns dieselbe Bedeutung wie ein Stein in Mekka oder viele alte Steine in Jerusalem oder ein Stück Marmor in Rom, würden wir diese Leute buchstäblich in Stücke reißen für die Blasphemie, derer sie sich schuldig machen. Aber wir tun es nicht.
Warum eigentlich?
Weil Natur etwas Abstraktes ist, und unsere Werte sind solche, die wir uns erschaffen haben, um unseren Zwecken zu dienen. Provozierend gesagt: Wir sind zu einem Haufen verkommener, arroganter, nackter Affen geworden, die sich selbst für göttliche Geschöpfe halten. Und genau das wird die Menschheit am Ende zerstören.
Gibt es noch andere falsche Werte?
Vor einigen Jahren erschoss ein Ranger in Simbabwe einen Wilderer, der Jagd auf schwarze Rhinozerosse gemacht hatte. Menschenrechtsgruppen warfen ihm vor, einem Menschen das Leben zu nehmen, um ein Tier zu beschützen. Der Ranger antwortete: "Hätte ich als Polizist einen Bankräuber erschossen, würdet ihr mich einen Helden nennen. Wie kann es sein, dass ein Sack voll Papier wichtiger ist als die Zukunft und das Gleichgewicht der Natur in Simbabwe?" Wir leben in einer Gesellschaft, in der Materielles einen höheren Stellenwert hat als das Leben - das von Menschen eingeschlossen. Wir verurteilen Kuba, aber treiben Handel mit China. Was uns beigebracht wird, ist ein falsches Verständnis von richtig und falsch. Richtig ist fast immer, was wirtschaftlich von Vorteil ist. Alles, was finanziellen Verlust mit sich bringt, wird in der Regel für falsch gehalten.
Woher kommen diese Werte?
Jedes kleine Kind liebt Tiere. Kinder haben ein intuitives Verständnis der Natur. Das nehmen wir ihnen. Sobald sie zur Schule gehen, werden ihnen menschliche Werte beigebracht und nicht die Werte der Natur.
Wird sich das jemals ändern?
Entweder tun wir es freiwillig, und das sehe ich nicht, oder wir werden dazu gezwungen: durch den Kollaps des Öko-Systems. Und das wird nicht sehr angenehm werden.
Kann man selbst etwas dagegen tun?
Es kommt auf jeden Einzelnen an. Dank Diane Fossy haben die Berg-Gorillas in Ruanda überlebt. Wegen George Adamson wurden Löwen in Kenia geschützt. Alle gesellschaftlichen Revolutionen fanden nur statt dank der Leidenschaft und des Handelns von Einzelpersonen. Man sollte nie einer Regierung, einer Institution, der Schule, einfach niemandem erlauben zu sagen: "Es ist lächerlich zu denken, dass ausgerechnet du etwas tun kannst." Man muss die eigenen Fähigkeiten so gut nutzen, wie man nur kann. Als Journalist, als Schriftsteller, als Anwalt, als Bauunternehmer. Die Stärke eines Ökosystems liegt in der Vielfalt. Und auch die Stärke jeder Bewegung liegt in ihrer Vielfalt.
Muss man radikal sein, um etwas zu verändern?
Man muss nicht einen Walfänger rammen, um Umweltschützer zu sein. Man kann auch Kindern von Walen erzählen. Es gibt tausend Möglichkeiten.